Mittwoch morgen, erster Urlaubstag. Ein nettes Frühstück in Stuttgart muss sein bevor ich zum Flughafen fahre.
Gegenüber dem Flughafen auf der Messe habe ich noch eine Verabredung mit H. Kraml um ein Spot Gen 3 abzuholen. Ein glücklicher Zufall führte dazu dass ich kurzfristig noch ein aus meiner Sicht unverzichtbares Notrufsystem abholen konnte. Für solche Unternehmungen wie ich sie geplant habe sollte aus meiner Sicht ein Notrufsystem oder ein Satellitentelefon auf jeden Fall mit dabei sein...
Dann geht's los in Richtung nach Madrid. Als wir in Madrid landen frage ich mich das erste Mal ob das alles wohl eine gute Idee war - das Wetter ist dermaßen mies, dass es schwer ist sich vorzustellen, dass man hier auch nur einen Kilometer segelfliegen kann. Aber o. k., der Wetterbericht hat genau das vorhergesagt, was es allerdings auch nicht besser macht.
Meine Recherchen (siehe "Wo auf der Welt gibt es Thermik...") sagen eigentlich, dass es hier um diese Jahreszeit schon prima gehen sollte. Also einfach Geduld haben und der eigenen Prognose vertrauen. Als der Flieger dann von Madrid Richtung Alicante abhebt habe ich mich mit der Situation abgefunden und auch eine gute Ablenkung durch meinen offenherzigen Sitznachbarn aus Ecuador gefunden, der zwar kein Englisch versteht, aber dafür umso mehr Spanisch spricht. Da kann ich gleich schauen was ich so gelernt habe im letzten Jahr. Na ja, ich verstehe fast nichts, aber dennoch ein nettes, wenn auch ein bißchen einseitiges Gespräch ;-). Als wir uns Alicante nähern scheint auch plötzlich nach 1000 km miesem Wetter wieder die Sonne! Da steigt die Laune.
Am Flughafen holten mich Werner und Jens ab. Sie haben meinen Flieger unglaublicherweise die 1500 km von Schorndorf nach Alicante gefahren! Da Werner, der ja mal bei mir um die Ecke gewohnt hat in seinem Shop www.irl-shop.de die Überführung von Fliegern anbietet, habe ich ihn gleich gefragt ob er diese Aktion auch übernehmen könnte. Ihm vertraue ich meinen Flieger blind an, da ich mir sicher bin, dass er weiß was er tut. Gesagt, getan, so liebe ich das, da sind sie mit Werner's Womo am Flughafen von Alicante! Wir sind direkt zum Flughafen nach Mutxamel (LEMU) gefahren und haben nach dem Anhänger geschaut.
Mutxamel ist ein privater Flugplatz der schon im Internetauftritt den Eindruck eines prima organisierten Flugplatzes macht www.aerodromodemutxamel.es/web/es. Da konnte ich gleich auch Roberto kennen lernen, mit dem ich schon telefoniert und gemailt hatte. Ein super netter Kontakt! Danach gleich mit Werner und Jens meinen Koffer aus dem Hänger geholt und gleich zusammen ein Bier in der Bar des Fliegerclubs getrunken. Die Stimmung war prima und danach sind wir noch Abendessen gegangen, in einem Lokal das Werner und Jens schon gestern, als sie ankamen gefunden hatten.
Dann musste ich mich mit meiner Vermieterin treffen um den Schlüssel meines Appartements zu erhalten. Ich war gnadenlos zu spät, sie musste 1,5 h warten und saß dann in der Bar in der Nähe der Wohnung. Silvina stellte sich aber als extrem nette Argentinierin heraus, die seit 14 Jahren mit einem Holländer hier in Alicante lebt. Viel zu erfahren und viel zu erzählen - Also noch einen Absacker trinken und ein paar Tapas essen und dann das Appartement besichtigen. "Appartement" ist allerdings massiv untertrieben - eine 155 m² Wohnung mit 3 Schlafzimmern, 2 Bädern, Küche, Wohnzimmer geschmackvoll mediteran eingerichtet (die Besitzerin ist Mailänderin) in der besten Gegenden direkt zentral in Alicante. Also immerhin mehr als doppelt so groß wie meine Wohnung zuhause ;-). Man gönnt sich ja sonst nichts? Nein - 60 Euro die Nacht über Booking.com, weil tagsüber gerade Bauarbeiten nebenan sind. Tagsüber bin ich aber ohnehin nicht da... Werner und Jens sind aber im Wohnmobil geblieben, weil es in der Stadt leider keine Womo-geeigneten Parkplätze gibt.
Am nächsten Morgen trafen wir uns um 9:00 am Flugplatz. Leider kostet das Taxi von Alicante nach Mutxamel 25 Euro, öffentliche Verkehrsmittel sind bei 1,5 h Anfahrt leider auch keine Alternative. Das Wetter war wie vorhergesagt bescheiden. Völlig bedeckter Himmel, richtig starker Wind, es fehlte nur noch Regen. Na ja, dafür genehmigten wir uns einen Cafe con leche in Bar des Fliegervereins und gingen dann daran den Ventus aufzubauen. In Spanien ist alles etwas strenger geregelt wie in Deutschland (wie fast überall in der Welt, auch wenn wir Deutschen immer noch denken, dass es bei uns strenger und geregelter abläuft als sonst wo...), weshalb man auch mit dem Hänger z. B. keine Piste queren darf.
Das Flieger aufbauen ging ganz gut voran, mit kleineren Balleteinlagen. Auch wenn es etwas surreal war, den ersten Aufbau meines Ventus dieses Jahr in Alicante durchzuführen... Platz in der Hangar gab es genug. Auch mal eine interessante Erfahrung.
Jens und Werner mussten nun auch schon wieder nach Deutschland aufbrechen, da Jens am Samstag um 6:30 wieder seinen Dienst antreten muss. Ganz schön eng getaktet... Als die beiden dann aber mit Womo und meinem Hänger im Schlepp zum Tor des Flughafens hinaus fuhren war das schon ein extrem seltsames Gefühl - Nun hier alleine mit einem Segelflugzeug 1500 km weg von zuhause in Alicante zu stehen.
Und das bei dem Wetter, das nicht im Ansatz irgend etwas mit Segelflugwetter zu tun hatte! und zu guter Letzt noch umringt von schroffen Bergketten, die z. T. noch im Hochnebel lagen! Unfassbar... Ich musste schon etwas schlucken und mich an meine eigene Prognose erinnern "das geht"! Gefühlsmäßig fiel es mir aber doch sehr schwer der eigenen rationalen Prognose glauben zu schenken.
O.k. einfach weiter im Program und den Flieger vorbereiten. 2 h Gepäck, Instrumente, Funktionen checken. Und dann gemütlich in der Fliegerbar Mittag essen. Immerhin habe ich Urlaub. Der Tag war bis dahin eigentlich nicht schlecht verlaufen.
Auf dem Mittagstisch hatte ich übrigens immer meine Luftfeuchtemessgerät stehen. Da es innen und aussen fast gleich warm war machte das schon Sinn. 57% Luftfeuchte war eigentlich kein schlechter Wert. Nach dem Mittag sank die Luftfeuchtigkeit kontinuierlich, obwohl alles durch die 8/8 Wolken eigentlich viel feuchter und unfliegbarer erschien. Der Wind blies nun plötzlich vom Meer auf's Land in die Berge, er war aber immer noch beängstigend stark (ja Alicante liegt am Meer!). Obwohl es immer noch bedeckt war wollte ich einen Werkstattflug machen. Die 45 % Luftfeuchte bestärkten mich darin zusätzlich. Vor allem wollte ich wissen, wie ich das hin bekomme mit einem Segelflugzeug auf einem Motorplatz zu fliegen. Meine Idee den Ventus die 500 m zum Start zu schieben fand Roberto gar nicht gut, auch wenn man es in Deutschland so macht. Leider ist das hier überhaupt nicht üblich und es gibt auch keinen Taxiway. Er meinte ich solle doch mit dem Motor zum Start taxien. Mhh... mit 10 Knoten Querwind, dem ersten Flug im Jahr etwas sportlich... Mit Rückenwind geht es ohne lenkbares Spornrad wahrscheinlich gar nicht. Also Backtrack auf der Bahn. Aber gut, Motor an Gas rein und 500 m bis zum Ende der Bahn. Das ging deshalb gut, weil ich die Eingebung hatte doch einfach mit mindestens 50 km/h also schon mit guter Seitenruderwirkung in Richtung des Bahnendes zu fahren. Definitiv eine super Idee :-) Am Bahnende war ich dann von mir selbst beeindruckt, als ich gegen den Wind und mit gedrückter Bremse und angehobenem Spornrad quasi auf der Stelle eine 180°-Wende hingelegt hatte. Dann nur noch beim Tower melden, Gas rein schieben und trotz 10 Knoten Seitenwind noch etwas wackelig aber dennoch perfekt starten! Das erste Glücksgefühl, ich war begeistert!
Über einer riesigen Plantage konnte ich dann trotz 8/8 ein wenig Thermik finden und mich wieder an meinen Flieger und die Bedingungen gewöhnen. Alle Instrumente funktionierten, der Motor lief zuvor schon super, also alles o.k. In 800 m Höhe, also 600 m unterhalb der Berge konnte ich etwas herumspielen und die kleinen Kondensationen in 1100 m Höhe anvisieren. Nach einer Weile wurde ich etwas sicherer und flog etwas mehr in Richtung der Berge, obwohl die Basis deutlich unterhalb der Gipfel lag.
Eigentlich hatte ich gar nicht damit gerechnet, aber der Seewind erzeugte einen schönen Hangwind. Für mich, der ich seit 10 Jahren nicht mehr am Hang geflogen bin, und der einzige Hang den ich kenne die Teck ist, war das ein Erlebnis der besonderen Art. 100 m von den schroffen Felswänden weg Meter für Meter zu steigen, ein gigantisches Felspanorama zu genießen war doch 100 Mal mehr als ich von einem Werkstattflug bei miesem Wetter erwartet hatte. Und als Zugabe noch den direkten Blick über das Meer nebenan zu haben. Ich stieg und stieg, konnte immer wieder andere Felsformationen erfliegen und ertasten wo es wie stieg. Perfekt! In 1650 m war dann zunächst Schluss, es ging nicht mehr höher. Aber ich genoss es einfach.
Als dann aber wider Erwarten doch einige Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke drangen und Alicante unter der wie Regenwolken wirkenden Bewölkung in seltsames Licht getaucht aufleuchtete konnte ich schon erahnen, das sich noch etwas ändern würde. Die Felswände wurden auch von dem ein- oder anderen Lichtstrahl getroffen und die Hoffnung auf Thermik auch oberhalb der bisherigen Basis keimte auf. Nach einigen Minuten konnte man tatsächlich die erste Thermikablösungen spüren, es ging weiter hoch. Der Himmel machte auf und die Basis bildete sich bei ca. 1800 m neu. Plötzlich ging es weiter hoch und ich konnte mich von der Bergflanke lösen und in Richtung Alicante bewegen. Einige Wolken lösten sich auf bevor ich ihnen nahe kommen konnte, aber gegen den Wind flog dennoch mehrere km weiter zur anderen Talseite und der nächsten Bergkette. Völlig entspannt nach einigen Kreisen wusste ich, das reicht nun für heute, ich flog zurück nach Mutxamel. In der Zwischenzeit war plötzlich super Flugwetter, nicht nur im Landesinnern konnte ich schöne Cummuli stehen sehen.
Nach der Landung wusste ich nur noch, dass dies völlig unerwartet ein genialer Tag mit vielen Wendungen war. 1500 km von zuhause mit einem Segelflugzeug am Meer und in den Bergen gleichzeitig, bei unvorhergesehen interessanten Wetterbedingungen den ersten Flug im Jahr zu machen ist für mich kaum fassbar. Der Flug im OLC.
Für die ersten zwei Tage hat sich der ganze Trip schon gelohnt!